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Das Gemeindekind (13)

Das Gemeindekind (14)

Peter ging es täglich besser; er durfte wieder sprechen und durfte essen, was ihm schmeckte, nur Schreien und Rauchen war ihm noch verboten. Während seiner Krankheit hatte er nicht aufgehört sich zu fürchten, im Anfang vor dem Sterben und später vor der Rechnung, die der Arzt ihm machen würde. Als dieser seine Besuche einstellte und die Rechnung nicht sofort schickte, ließ Peter sie abholen, aber nur, um ihr einen schnöden Empfang zu bereiten. Er legte sie auf den Tisch, setzte sich vor sie hin und begann Posten für Posten grimmig anzufeinden. Sein Weib schlich voll Besorgnis um ihn herum und bat ihn schüchtern, nicht so zu toben, worauf er es noch viel ärger trieb. Zu Fleiß! – weil er doch sehen wollte, ob die Reparatur, die der alte Notenreißer an ihm vorgenommen und sich so unverschämt bezahlen lasse, wenigstens ordentlich gemacht sei.

Es war ihm gelungen, sich völlig um sein bißchen Menschenverstand zu bringen und in den nicht mehr zurechnungsfähigen Zustand hineinzuärgern, in welchem ihn Vinska am liebsten vor der Begegnung mit fremden Leuten bewahrt hätte, als es an der Tür pochte und recht zur unguten Stunde der Wirt erschien.

Er zog höflich den Hut, und Vinska sah auf den er sten Blick: Der will etwas, und zwar etwas nicht ganz Rechtmäßiges.

Peter gab auf die Erkundigung nach seinem Befinden, mit der der Besuch sich einführte, keine Antwort, schob, als jener sich neben ihn gesetzt hatte, ihm nur die Rechnung hin, schnaubte: "Da!" und sah ihn von der Seite gespannt und erwartungsvoll an.

Der Wirt versank in das Studium des Schriftstückes, und nach einer Zeit, die zum Auswendiglernen desselben hingereicht hätte, sprach er, seine Worte mit einem Schlage der flachen Hand auf das Papier bekräftigend: "Das ist die Rechnung vom Doktor."

"Die Rechnung vom Doktor, vom Spitzbuben; furchtbar überhalten hat mich der Lump."

"Kann's nicht finden", erwiderte der Wirt. "Dich überhalten, so ein Sparmeister! – kommt nicht vor. Die Rechnungen sind in Ordnung – beide Rechnungen, die vom Doktor und", er lächelte verlegen, griff in die Brusttasche und zog langsam ein gefaltetes Papier hervor, das er dem Peter hinhielt, "und die meinige auch."

Peter fuhr zurück wie vor einem Feuerbrand und schrie aus Leibeskräften: "Rechnung?" – Was das zum Teufel für eine Rechnung sein könne, hätte er wissen mögen; er hatte keinen Kreuzer Schulden im Wirtshaus, er trank nie einen Tropfen, den er nicht sogleich bezahlte.

Ja, meinte der Wirt, als er endlich zu Worte kommen konnte, es handle sich auch nicht um Tropfen, sondern um einen Zaun, den Zaun seines Gartens nämlich, der bei Gelegenheit des Lokomobilsturzes zu Schaden gekommen war.

Nun geriet Peter völlig in Wut. Was in alle Wetter ging der Zaun ihn an? Wie konnte der Wirt sich erfrechen, ihm die Rechnung für den Zaun zu bringen? ... Daß der Zaun umgerissen worden, das war ja die Ursache des ganzen Unglücks gewesen. Es geschah in dem Augenblick, in dem Peter just im Begriff gewesen, die Pferde wieder in die Hand zu kriegen, er hatte sie schon, ein Riß noch, und sie wären gestanden wie Mauern und hätten die Wendung genommen ins Hoftor wie die Lämmer. Freilich, wenn der Zaun umpoltert vor ihren Nasen, da werden solche Tiere scheu... Kühe sind's ja nicht. So war's, Peter schwor es hoch und teuer – schwor auch, jeden, der es nicht einsähe, mittelst Fußtritten davon zu überzeugen. In seiner Aufregung verließ er trotz Vinskas Abmahnungen das Haus und begab sich mit dem Wirt an die Ecke von dessen Garten, um den Vorgang an Ort und Stelle ausführlichst zu demonstrieren.

Sorgenvoll blickte sein Weib ihm nach. Sieben Wochen lang hatte er das Zimmer nicht verlassen und unternahm jetzt seinen ersten Ausgang an einem stürmischen Oktobertag, im leichten Hausanzug, heiß vor Zorn und keuchend vor Aufregung. Bis herüber hörte sie ihn schreien. Als er den Zaun erblickt hatte, dessen Wiederaufstellung zu bezahlen ihm zugemutet wurde, war er in die Höhe gesprungen wie toll. Was war denn das! Betrug! Schuftiger Betrug! ... Nicht nur einfach aufgestellt, neu hergestellt war der Zaun. Mehr als die Hälfte seiner morschen Bretter durch neue ersetzt. Wie? ein alter Zaun war umgefallen und ein neuer aufgestanden, und zwar auf Peters Kosten? ... Er tobte, er rief jeden Vorbeigehenden zum Zeugen des Diebstahls, den der Wirt an ihm verüben wollte. Vor einem immer wachsenden Publikum erzählte er die Geschichte ein halbes dutzendmal nacheinander, erzählte sie mit immer neuen, seine Behauptung bekräftigenden Zusätzen. Der verfluchte Zaunumreißer, der "Bub", hat alles auf dem Gewissen, das Scheuwerden der Pferde, den Sturz des Lokomobils, den Unfall Peters – des Helden, der, selbst im Augenblick dringender Lebensgefahr, die Rettung des Eigentums der Gemeinde im Auge behalten und, statt zur Seite zu springen, noch ganz zuletzt seinem Gespann eine Wendung gegeben, einen Ruck, der verhindert hatte, daß die Maschine auf "Fransen" ging. Er war zuletzt so heiser wie eine Rohrdommel und fiel vor Müdigkeit fast um. In der Nacht ließ die Unruhe ihn nicht schlafen, und des Morgens schickte er zum Bürgermeister, zu den Räten und zu einigen Freunden und entbot sie ins Wirtshaus, wo er eine ernstliche Beratung mit ihnen pflegen wollte. Sie kamen, und er setzte ihnen auseinander, daß er sein Recht verlange, und wenn die Gemeinde es ihm nicht gewähre, werde er sich's beim Bezirksgericht holen, beim Kreisgericht, beim Kaiser.

Der Bürgermeister stieß Seufzer um Seufzer aus, während Peter sprach, lächelte ängstlich, sah die Räte um Beistand bittend an. Er war der sanftmütigste Mann im Orte, sehr jung für sein Amt und – weil etwas gebildeter als die meisten seiner Standesgenossen – ihrer Roheit gegenüber ziemlich hilflos. Was denn also Peters Recht sei? fragte er, und dieser, statt zu antworten, begann seine Geschichte zu erzählen, die seit gestern noch viel wunderbarer, unmöglicher und glorreicher für ihn geworden war. Der Bürgermeister zuckte die Achseln, der älteste der Räte schlief ein; Anton machte seine ausdrucksvollste bedauernde Gebärde. Einige Witzbolde jedoch erlaubten sich, Peters Prahlereien im Scherz zu überbieten, und erregten damit großes Gelächter. Er schwankte eine Weile, ob er mitlachen oder sich ärgern sollte, wählte aber dann das letztere: "Hab ich den Zaun umgerissen?" rief er.

"Nein, nein!" antwortete man ihm.

"So bezahl ich ihn auch nicht."

"Nein, nein!"

"Wer aber tut's?" jammerte der Wirt, dem dicke Schweißtropfen auf den glänzenden Wangen standen.

"Wie du die Rechnung gestellt hast, niemand; sie ist auf alle Fälle unverschämt", sagte Anton, und dankbar nickte der Bürgermeister ihm zu. Barosch jedoch, der eben sein fünftes Schnapsgläschen leerte und gern ein sechstes auf Kredit bekommen hätte, neigte demütig den kleinen kugelrunden Kopf auf die Seite hin und sagte: "Warum niemand? Warum nicht der, der ihn umgerissen hat? Warum nicht der Bub?"

"Der Bub? Das wäre- das wäre was – haha, der Bub!" kicherte, lachte, spottete man; trotzdem aber ließ sich unschwer erkennen, daß der Vorschlag Anklang gefunden hatte.

Peter bemächtigte sich seiner sogleich und beanspruchte ihn als sein Eigentum. Das war das Recht, von dem er geredet, die Genugtuung, die ihm gebührte für die Gefahr, in die der Bub ihn gebracht, für den Opfermut, den hingegen er bei Rettung der Maschine an den Tag gelegt hatte.

Der älteste Rat war eben aufgewacht und fiel verdrießlich ein: mit dieser Rettung sei es ein verfluchtes Geflunker. Bei dieser Rettung habe das Lokomobil "eines hinaufbekommen", von dem es sich nicht erholen könne. In einem fort repariere Anton an ihm und könne es nicht "auf gleich" bringen. Es puste wie schwindsüchtig, und sein vormals so heller Pfiff gliche jetzt dem Miauen einer kranken Katze. Daran läge gar nichts, meinte Anton; Pfeifen und Miauen käme am Ende auf eins heraus; das aber, daß die Maschine weit weniger leistungsfähig sei als früher, müsse er leider gelten lassen.

Seine Erklärung erweckte allgemeine Unzufriedenheit, nur Peter nahm keine Notiz von ihr, trommelte mit den Fäusten auf den Tisch und rief: "Der Bub muß her, und der Bub muß zahlen."

"Muß her, freilich", stimmte man von vielen Seiten bei, und der Bürgermeister, immer ungeduldiger werdend, je ohnmächtiger er sich fühlte, gegen die Strömung zu steuern, welche die öffentliche Meinung genommen, sagte lauter, als sonst seine Weise war: "Er muß, was muß er? Das nicht, was ihr euch einbildet!" und die Einwendungen beantwortend, die ihm zugerufen wurden, schloß er: "Er kommt nicht, kann nicht kommen, weil er und der Arnost einberufen worden sind und sich heute haben stellen müssen."

Das war nun allerdings etwas anderes, und es hieß sich bescheiden.

Wohl kam Pavel am nächsten Morgen zurück, brachte aber nur vierundzwanzig Stunden daheim zu und sprach nur mit zwei Personen, mit dem Bürgermeister und mit Anton. Beim ersten meldete er sich in Gesellschaft Arnosts. Sie hatten beide das Glück gehabt, zur Landwehr eingeteilt zu werden, mußten je doch sogleich einrücken.

Der zweite, den er zufällig traf, der Schmied, klagte ihm seine Not mit der Maschine und forderte ihn auf, nach dem Hofe Peters zu kommen, wo sie noch immer stand. Beim ersten Blick, den Pavel auf sie warf, wiederholte er sein schon einmal Gesagtes: "Sehe Ihr nicht, daß das Stangel verbogen ist?" – Anton gab es zu, war aber der Ansicht, an der Kleinigkeit läge nichts.

"Alles liegt dran", entgegnete Pavel. "Deswegen stoßt's ja so, deswegen gehe der Schieber nicht ordentlich, und wie soll denn der Dampf richtig eintreten? Einmal kommt zuviel, einmal zuwenig."

Es gelang ihm, den Schmied zu überzeugen, und nun brachten sie miteinander die Sache in kurzer Zeit in Ordnung.

Peter zeigte sich nicht, aber man hörte ihn in der Scheuer jämmerlich husten. "Er hat sich verdorben mit lauter Schreien", sagte Anton; "der Doktor kommt wieder zu ihm."

Diese Mitteilung wurde so gleichgültig aufgenommen, als sie gemacht worden. Pavel ging heim, bestellte sein Haus, sperrte es ab und begab sich beinahe fröhlichen Mutes nach dem Orte seiner neuen Bestimmung. Das wenige, das er bei der Assentierungskommission vom militärischen Wesen gesehen, hatte ihm sehr gefallen.

Dem Schmiede wurde viel Lob zuteil wegen der wieder vollkommen hergestellten Maschine; er schien es jedoch nur ungern anzunehmen und brachte, wenn jemand damit anfing, das Gespräch sofort auf etwas anderes. Daß die Hilfe Pavels nötig gewesen war, um die Ursache des Schadens, den das Lokomobil erlitten hatte, zu entdecken, wollte ihm nicht über die Lippen.

Während Pavels Abwesenheit kam die Frage, wer die Rechnung über die Reparatur des Zaunes bezahlen solle, im Gemeinderat auf die Tagesordnung. Der Wirt ließ mit Drängen nicht nach und setzte die Erledigung der Angelegenheit endlich durch. Stimmenmehrheit entschied: Der Bub zahlt – man ist ja bereits schon früher einig darüber gewesen.

"Wenn er aber nicht kann", wandte der Bürgermeister ein.

"Ach was, wie soll er nicht können? Er hat Geld, und wenn er keins hat, ist ja sein Haus da, das immerhin ein paar Gulden wert ist. Mag ihn der Wirt auspfänden lassen."

Dabei blieb es, trotz des Verdrusses, den dieser Beschluß dem Bürgermeister verursachte.

Nach Pavels Rückkehr fand der Wirt sich schleunigst bei ihm ein, erzählte ihm, was in seiner Angelegenheit ausgemacht worden war, und endete mit der Versicherung, daß an der Sache nichts mehr zu ändern sei und Pavel unweigerlich zahlen müsse.

Der riß die Augen immer weiter auf; es kochte in ihm, obwohl er äußerlich ganz ruhig schien. Dennoch wurde dem kleinen, dicken Wirt unheimlich beim Anblick dieser Ruhe.

"Wer hat denn das bestimmt, daß ich zahlen muß?" fragte Pavel.

"Nun, die Gemeinde, der Bürgermeister, die Bauern."

"Der Bürgermeister, die Bauern", wiederholte der Bursche und trat einen Schritt auf ihn zu, der Wirt aber mehrere Schritte zurück.

"Zahl", sagte er; "wenn du gleich zahlst, laß ich die Kreuzer nach... laß ich einen Gulden und die Kreuzer nach."

"Setz dich und zieh den Gulden und die Kreuzer gleich von der Rechnung ab."

Der Wirt hätte gern widersprochen, wäre dieser Aufforderung sehr gern nicht nachgekommen, aber er tat es doch und erkundigte sich dann schüchtern: "Wirst du jetzt zahlen?"

"Eher nicht, als ich mit den Bauern gesprochen habe. Am Sonntag komm ich ins Wirtshaus und spreche mit den Bauern. – Auf was wartest du noch?"

Die Frage war mit einem Nachdruck gestellt, der den Wirt veranlaßte, sie nicht erst in wohlgesetzter Rede, sondern zugleich mit der Tat zu beantworten und dabei nicht mehr Zeit zu verlieren, als er brauchte, um die Tür zu erreichen, die er mit vorsichtiger Geschwindigkeit hinter sich schloß.

Abends erzählte er seinen Gästen: "Der Kerl hat euch beim Militär ein Wesen angenommen wie ein Korporal. Einer, der keine Courage hat, könnte sich vor ihm fürchten, und am Sonntag will er kommen, hierher ins Wirtshaus, und mit den Bauern reden."

Die Gäste – unter denen auch Anton und Barosch sich befanden – widersprachen der Behauptung, daß man Courage brauche, um sich vor Pavel nicht zu fürchten, und Barosch meinte, die Absicht, mit den Bauern zu reden, könne der Bub haben, ausführen werde er sie schwerlich: "Weil", und dabei klopfte er voll ungewohnter Hochachtung gegen sich selbst an die eingefallene Brust, "weil wir mit uns nicht reden lassen."

"Überhaupt", rief der Wirt, "nimmt er sich in der letzten Zeit viel zuviel heraus."

"Was denn eigentlich?" fragte Anton, der bis jetzt geschwiegen hatte, worauf der Wirt versetzte: "Und man soll es ihm einmal wieder zeigen."

"Was soll man ihm zeigen?"

Auf diese zweite Frage erhielt Anton ebensowenig Antwort wie auf die erste, niemand wußte eine; trotzdem stimmten alle dem Wirte bei: Der Bub nimmt sich zuviel heraus, und man muß "es" ihm einmal wieder zeigen.

Und eine kleine Karikatur der Fama setzte eine Kindertrompete an den Mund und huschte im Dorfe umher von Haus zu Haus, von Hütte zu Hütte und verbreitete die Kunde, am Sonntag kommt das Gemeindekind ins Wirtshaus und wird dort Rechenschaft verlangen von seinen Nährvätern, und die werden ihm das geben, was ihm gebührt. Sie haben sich's vorgenommen, sie werden "es" ihm einmal wieder zeigen. Worin das geheimnisvolle "Es" bestand, verriet die kleine Fama nicht und gab dadurch dem zu erwartenden Ereignis einen ganz besonderen Reiz.

Am Sonntag war das Wirtshaus überfüllt; aber der Bürgermeister erschien nicht und von den Räten nur der älteste Peschek, ein braver Mann und auch energisch, wenn er nicht eben an Schlafsucht litt. Peter hatte sich eingefunden mit seiner zahlreichen "Freundschaft". Er sah übel aus, seine Kleider schlotterten um ihn, seine Stimme war heiser, und sein Atemholen glich dem Geräusch einer arbeitenden Säge.

In der dunklen Ecke neben dem Ofen hockte auf einem Schemel Virgil. Das rote Gesicht des Alten und seine funkelnden Augen glänzten aus dem Schatten hervor.

An die große Wirtshausstube stieß das einfenstrige Zimmerchen, in dem der Honoratiorentisch stand. Vor einer Weile hatten der Doktor und der Förster an demselben Platz genommen und den einzigen Zugang, den es hatte, die Tür ins anstoßende Gemach, offenstehen gelassen, da auch sie nicht ganz ohne Neugier den Dingen, die da kommen sollten, entgegensahen. Sie blinzelten einander zu, als der Wirt hereinglitt, mit anmutig auswärts gesetzten Füßen, wie er zu tun pflegte, wenn er das Honoratiorenzimmer betrat, und lispelte: "Da ist er."

Pavel trat ein, und zum allgemeinen Erstaunen kam Arnost in seiner Begleitung. Waren am Ende gute Kameraden aus den zweien geworden während ihrer kurzen Dienstzeit? etwas Militärisches hatten beide angenommen. In strammer Haltung, ohne den Hut zu lüften, trat Pavel auf den Tisch der Bauern zu. Er trug ein weißes Blatt, das er langsam entfaltete, in der Hand, näherte sich Peschek, hielt es ihm vor die Augen und sprach: "Der Wirt sagt, daß der Bürgermeister und die Bauern wollen, ich soll diese Rechnung bezahlen. Ist das wahr?"

Kein Laut der Erwiderung ließ sich vernehmen. Peschek hatte gar nicht aufgeblickt, und Pavels Stimme klang vor Bewegung so unterdrückt, daß der Rat bei dem herrschenden Durcheinander auch wirklich tun konnte, als hätte er die Frage überhört. Er klopfte mit dem geleerten Bierglas traumselig auf den Tisch und mahnte den Wirt einzuschenken. Pavel wartete, bis das geschehen war, dann wiederholte er Wort für Wort sein Sprüchlein. Zum zweiten Male verweigerte ihm Peschek seine Aufmerksamkeit, und nun legte Pavel die Hand auf dessen Schulter und sprach fest und drohend: "Antwortet mir!"

"Hund!" ertönte es vom andern Ende des Tisches. Peter hatte geredet, und in seiner Umgebung erhob sich ein beifälliges Gemurmel. Pavel jedoch drückte stärker, als er wußte und wollte, die Schulter des alten Rates.

"Ob ich zahlen muß, frag ich Euch, frag ich die Bauern, frag ich den dort", rief er zu Peter hinüber.

"Ja! ja! ja!" wetterten ihm alle unter einer Flut von Flüchen entgegen. Peschek wand und krümmte sich; ihm war der Schlaf vergangen: so wach hatte er sich lange nicht gefühlt und kaum je so hellsehend.

"Laß mich los", drohte er zu Pavel hinauf und dachte bei sich: An dem Menschen wird ein Unrecht begangen. – "Ich kann dir nicht helfen", fuhr er fort, "auch wenn ich möchte... Du mußt zahlen."

Pavel wechselte die Farbe und zog seine Hand zurück. "Gut", knirschte er, "gut also."

Langsam, mit einer feierlichen Gebärde, griff er in die Brusttasche, entnahm einem Umschlage, den er bedächtig öffnete, eine Zehnguldennote, reichte sie samt der Rechnung dem Wirt und sprach: "Saldier und gib heraus."

Eine Pause des Erstaunens entstand: das hatte niemand erwartet. Schadenfreude und Enttäuschung teilten sich in die Herrschaft über die Gemüter, nur der Wirt war eitel Entzücken. Bereitwilligst legte er, nachdem er die Banknote eingesteckt, einen Gulden vor Pavel hin.

Dieser nahm ihn in Empfang, kreuzte die Arme und warf einen kühnen, herausfordernden, einen wahren Feldherrnblick über die ganze Gesellschaft, "So", sagte er; seine Stimme war nicht mehr umschleiert; sie klang laut und mächtig, und mit einem wahren Genuß ließ er sie zu den Worten erschallen: "Und jetzt sag ich dem Gemeinderat und den Bauern, daß sie alle zusammen eine Lumpenbagage sind."

Ein einziger Aufschrei beantwortete diesen unerhörten Schimpf, den der Geringste im Dorfe den Reichen, den Machthabern zugeschleudert. Die Nächststehenden stürzten sich auf ihn und hätten ihn niedergerissen ohne Arnost und Anton, die ihm zu Hilfe kamen. Als in dem furchtbaren Lärm die Worte "undankbare Kanaille", die Peter ausgestoßen, an Pavels Ohr schlugen, bäumte er sich auf, und mit der Bewegung eines Schwimmers, der mit beiden Armen die auf ihn eindringenden Wellen der Flut teilt, hielt er sich die Menge, die ihn bedrohte, vom Leibe.

"Undankbar!" donnerte er, und durch die Empörung hindurch, von welcher er glühte und bebte, klang erschütternd eine Klage lang erlittenen Schmerzes. "Undankbar? Und was verdank ich euch? Für den Bettel, den ihr zu meinem Unterhalt hergegeben, hab ich mit meiner Arbeit tausendfach bezahlt. Den Unterricht in der Schul hat mir der Lehrer umsonst erteilt. Keine Hose, kein Hemd, keinen Schuh hab ich von euch bekommen. Den Grund, auf dem mein Haus steht, habt ihr mir doppelt so teuer verkauft, als er wert ist. Wie der Bürgermeister gestorben ist, habt ihr mir die Schuld gegeben an seinem Tod; eure Kinder hätten mich beinah gesteinigt, und wie ich freigesprochen war, da hat es geheißen: Bist doch ein Giftmischer! Jetzt rette ich dem Peter sein Leben, und weil ich dabei dem Wirt seinen Zaun umgerissen hab, muß ich den Zaun bezahlen... Bagage!" Er warf ihnen zum zweiten Male das Wort ins Gesicht wie eine ungeheure Ohrfeige, die allen galt und für alle ausreichte, und – war's die elementare Macht des Zornes, der ihm aus den Augen loderte, war es die halb unbewußte Empfindung der Berechtigung dieses Zornes – trotz des Aufruhrs, den jenes Wort hervorrief, konnte Pavel fortfahren: "Warum wart ihr so mit mir? Weil ich als Kind ein Dieb gewesen bin? – Wie viele von euch sind denn ehrlich? ... Weil mein Vater am Galgen gestorben ist? – Kann ich dafür? ... Bagage..." und jetzt übermannte ihn die Wut; betäubend, racheheischend stieg die Erinnerung an alles, was er erduldet hatte und was ungesühnt geblieben war, in ihm auf. Er fand keine Worte mehr für eine Anklage; er fand nur noch Worte für eine Drohung, und die stieß er heraus: "Wenn ich aber heute etwas tue, was auch mich an den Galgen bringt, dann ist es eure Schuld!"

Nicht, was er gesagt und was die wenigsten verstanden hatten, aber seine geballten Fäuste, die herausfordernde Fechterstellung, die er angenommen, reizten die Geschmähten, und plötzlich hagelten Schläge auf Pavel nieder, ohne viel mehr Wirkung hervorzubringen, als ob sie auf einen Felsen gefallen wären. Er machte aber jeden, der auch nur einen Schlag von ihm empfing, kampfunfähig für diesen Tag und vermutlich auch für die nächstfolgenden.

"Gib jetzt Ruh!" rief der Förster, dessen große Gestalt in der Tür des Honoratiorenzimmers erschien, "du hast es ihnen gesagt, jetzt gib Ruh."

"Gib Ruh!" tönte ein heiseres Echo zurück. Peter war auf den Tisch gestiegen und schleuderte einen Bierkrug nach dem Kopf Pavels, fehlte ihn und traf Arnost so hart an die Stirn, daß der Bursche taumelte; doch raffte er sich sofort zusammen, sprang auf den tückischen Angreifer los und riß ihn vom Tisch herunter.

Nun war der Kampf entbrannt.

Zwei Parteien bildeten sich, die kleine Pavels, die große Peters; der Wirt und Peschek flüchteten zum Doktor ins Nebenzimmer. Der Förster, der als Friedensstifter aufzutreten gesucht hatte, sah die Nutzlosigkeit seiner Bestrebungen ein, brach sich Bahn durch den Tumult und verließ das Haus. Draußen war schon eine zahlreiche Menge, meist aus Weibern und Kindern bestehend, zusammengelaufen. Die Buben, berauscht von der Nähe einer großen Prügelei, schrien, sprangen an den Fenstern empor, rauften sich um die besten Plätze. Die Schwächeren, von den Fenstern der Wirtsstube verdrängt, machten sich an das des Honoratiorenzimmers heran, stoben aber auf einmal kreischend auseinander. Über ihnen waren ein Paar Beine zum Vorschein gekommen und hatten die Köpfe der Jungen als Stützpunkte benutzen wollen, um Boden zu gewinnen. Der Förster eilte hinzu und half dem Inhaber dieser Beine, dem Doktor, aus seiner schwebenden Stellung.

"Nicht mehr möglich, sich in anderer Weise zu entfernen", sagte der alte Herr kopfschüttelnd, "und entfernen muß ich mich... Der Holub geht fürchterlich los... Ein Bär, der Mensch – das glaubt nur, wer es gesehen hat. – Ich empfehle mich."

Auf demselben Wege wie der Doktor kam auch Peschek auf die Straße und hinter ihm der Wirt, der laut klirrte, als er auf den Boden sprang. Dieses Geräusch wurde durch die Messer und Gabeln hervorgerufen, die er eiligst von den Tischen genommen und in seinen weitläufigen Kleidern geborgen hatte, bevor er die Gaststube dem tollen Heer überließ, das jetzt darin hauste. Er klagte, daß er nicht auch die Krüge und Gläser habe mitnehmen können, jammerte, trieb die Gassenjugend hinweg, preßte das Gesicht an die Fensterscheiben und suchte zu er- kennen, was in der Stube geschah. Aber das furchtbare Ringen im Halbdunkel der schon hereingebrochenen Dämmerung vor, im Qualm aufgewirbelten Staubes. Man sah nur einen wild ineinandergekeilten, hin und her bewegten Menschenknäuel, hörte Stöhnen und Fluchen und das Stampfen schwerer Tritte und das Krachen zertrümmerten Holzwerks.

"O meine Bänke! O meine Tische!" seufzte der Wirt, und wie er sich an Peschek mit der Frage wenden wollte, ob man nicht nach dem Gendarm schicken solle, war der vorsichtige Rat in Gesellschaft des Doktors verschwunden.

"Herr Förster, machen Sie Ordnung!" rief der Wirt; "ich steh für nichts – der Schmied, der Arnost, der Holub – drei gegen alle; sie werden alle drei erschlagen... mit meinen Bänken, meinen Tischen!" setzte er, in Verzweiflung ausbrechend, hinzu.

"Wird nicht so arg werden", erwiderte der Förster, und plötzlich kamen durch die offene Tür herausgeflogen zwei Bauernsöhne aus Peters Sippe. Sie hatten sich noch nicht aufgerafft, als ein paar gute Freunde ihnen nachkollerten und, nicht minder unwillkürlich als die Vorhergehenden, drei und vier und fünf andere erschienen, im Purzelbaum, im kurzen Bogen, der mit den Füßen zuerst und jener mit dem Kopfe. Und der Förster begrüßte die Ankömmlinge und verstand es meisterlich – unterstützt von den Überredungskünsten ihrer Frauen –, diejenigen, die sich anschickten, auf den Kampfplatz zurückzukehren, von der Ausführung ihres Vorsatzes abzuhalten.

Einen unverhofften Verbündeten fand er an Barosch, der unter kräftiger Nachhilfe am Ausgang des Flurs erschien und hinter dem bald mehrere, der älteren Generation angehörende Männer sichtbar wurden. Auf der obersten Treppenstufe blieb Barosch stehen und brachte mit großer Anstrengung hervor: "Der Gescheitere gibt nach." Er besann sich, griff mit den Händen in die Luft, wiederholte: "Der Gescheitere gibt nach", und fiel die Stufen herunter.

"So ist's recht", rief der Förster. "Meine Hochachtung vor den Gescheiteren!" Und als alle in der Tür Eingekeilten sich herausgedrängt hatten, sprang er die Stiege hinauf, und vor der Wirtsstube angelangt, entfuhr ihm ein: "Potz Blitz und Donnerwetter!"

Wie hatten die Reihen sich gelichtet! Inmitten der Trümmer dessen, was die Einrichtung der Gaststube gewesen war, behaupteten Peter und die wenigen Getreuen, die bei ihm ausgehalten hatten, noch das Feld gegen Pavel. Der hatte sich seiner Jacke entledigt und stand in Hemdärmeln vor Arnost und dem Schmied; zu seinen Füßen kauerte, seinen Schutz anrufend, Virgil. Peter, außer sich, im Fieber glühend, suchte die Seinen zu neuem, offenbar schon oft zurückgeschlagenem Angriff auf den Gegner anzufeuern. Sie aber zagten, und als nun der Förster auf sie losdonnerte: "Frieden! Daß sich keiner mehr rührt!" – gehorchten sie ihm, und auch Pavel gehorchte, aber sein Gesicht wurde erdfahl, und tödlicher Haß sprühte aus seinen auf Peter gerichteten Augen.

Die Ruhe war von kurzer Dauer. Was die zwei miteinander auszumachen hatten, vermochte durch die Dazwischenkunft eines Dritten nimmermehr geschlichtet zu werden.

"Hund! Hund! Hund!" kreischte Peter, fuhr plötzlich in die Hosentasche; ein einschnappendes Messer knackte, und er warf sich mit blanker Klinge auf den Gegner. Arnost war vorgestürzt, den Angriff zu parieren. Es gelang ihm halb und halb; der gegen Pavels Brust geführt Stoß streifte die Rippen, ein großer Blutflecken färbte sein Hemd.

"Zurück!" schrie er, "zurück! Laßt den Kerl mir allein!" und ein Ringen begann, wie das eines Menschen mit einem wilden Tiere. Peter schäumte, biß und kratzte; Pavel wehrte sich nur, hielt ihn nur von sich, ließ sich Zeit, sammelte seine Kraft zu einem entscheidenden Streich.

Und nun geschah's... Mit der Linken sein Gesicht deckend, schob er raschen Griffs die Finger der Rechten in Peters ledernen Gurt- hob ihn an demselben hoch in die Luft, hielt ihn so mit ausgestrecktem Arm, schüttelte ihn und keuchte: "Bestie! Wenn ich dich jetzt hinhau, bist du fertig."

"Tu's!" rief Arnost.

"Tu's nicht!" rief der Förster, und Pavel fühlte die Last eines Feindes schwer werden wie Blei; Peters zusammengekrampfte Hände öffneten sich; das Messer entfiel ihm; die hinaufgezogenen Beine sanken matt herab – ein Erschöpfter erwartete, daß ihm der Rest gegeben werde.

Da lief ein Schauer über Pavels Rücken, und sein Zorn erlosch... Er ließ Peter langsam niedergleiten, sagte: "Ich mein, du hast genug!" und warf ihn seinen Freunden zu, die den Wankenden, halb Besinnungslosen schweigend aus der Stube geleiteten.

Der Förster schloß hinter ihnen die Tür, und Pavel brach in Jauchzen aus: "Draußen alle, und wir drinnen!" Er spürte nichts von seiner Wunde, nichts von den Beulen, mit denen er bedeckt war; er spürte nichts als seine Siegeswonne und eine stürmische, äußerungsbedürftige Dankbarkeit für seine Verbündeten: "Draußen alle, und wir drinnen, wir drei!"

"Wir vier", wimmerte Virgil; "hab ich nicht bis zuletzt bei dir ausgehalten, Pavlicek, gegen den Schwiegersohn?"

Pavel fuhr fort zu jubeln: "Gesagt hab ich es ihnen auch!"

"Gesagt und gezeigt", schrie Arnost, "und wenn sie bald wieder was hören oder sehen wollen, kannst auf mich zählen, Kamerad."

Der Förster musterte Pavel vom Kopf bis zu den Füßen: "Verfluchter Bursch!" sprach er lächelnd, und Anton lächelte ebenfalls. Der letzte Widerstreit zwischen seiner Eitelkeit und seiner Rechtschaffenheit war geschlichtet.

"Und die Maschin hat er auch repariert", sagte der Schmied.

Das Gemeindekind (15)